Ein queersensibler Beitrag über Abschiedsrituale für Menschen, die oft gegen Normen lebten und auch im Tod sichtbar bleiben sollen
Stellen Sie sich vor, Sie nehmen Abschied von einem Menschen, der sein Leben lang mutig war. Vielleicht war es eine lesbische Frau, die mit ihrer Partnerin eine Familie gegründet hat. Vielleicht war es ein schwuler Mann, der sich nie versteckt hat, auch wenn es unbequem wurde. Oder vielleicht war es eine trans Person, die ihren Weg zu sich selbst gefunden hat, trotz aller Widerstände. Diese Menschen haben nicht selten gegen gesellschaftliche Normen gelebt und sich ihre Sichtbarkeit hart erkämpft. Und jetzt, am Ende ihres Weges, stellt sich die Frage: Dürfen sie auch im Abschied sichtbar bleiben?
Warum Sichtbarkeit auch im Tod zählt
Viele Menschen aus der queeren Community, egal ob schwul, lesbisch, trans oder nichtbinär, haben ihr Leben lang für Anerkennung gekämpft. Sie haben sich geoutet, sich erklärt, sich manchmal auch verteidigt. Sie haben geliebt, wen sie wollten, und sich nicht von gesellschaftlichen Schubladen einsperren lassen. Wenn dann der Abschied kommt, ist das oft nicht nur traurig, sondern auch eine Herausforderung. Plötzlich stehen Angehörige und Freundinnen und Freunde vor der Frage, wie offen sie mit der Identität der verstorbenen Person umgehen dürfen. Ist es in Ordnung, in der Trauerrede von der langjährigen Partnerin zu sprechen? Darf die Regenbogenfahne bei der Trauerfeier wehen? Oder sollte man lieber alles „normal“ halten, um niemanden zu irritieren?
Ich finde, gerade im Abschied sollte das Leben eines Menschen in all seinen Facetten sichtbar sein dürfen. Es wäre doch schade, wenn ausgerechnet in der letzten Würdigung die Liebe, die Identität und die Geschichte einer Person unsichtbar gemacht werden. Wer sein Leben lang für Sichtbarkeit gekämpft hat, sollte nicht ausgerechnet im Tod wieder in den Schatten gestellt werden.
Meine persönliche Erfahrung: Schweigen im Dorf
An dieser Stelle möchte ich Ihnen eine sehr persönliche Erfahrung mitteilen, die mich bis heute begleitet. Vor etwa 30 Jahren ist ein guter Freund von mir an AIDS verstorben. Seine Eltern lebten in einem kleinen Dorf, in dem niemand wissen durfte, dass ihr Sohn schwul war. Und ganz besonders durfte niemand erfahren, woran er gestorben ist. Die Familie wollte, dass alles möglichst still und ohne große Feier abläuft. Der Abschied sollte im Verborgenen stattfinden, fast so, als hätte es meinen Freund gar nicht gegeben.
Für uns im Freundeskreis war das unvorstellbar. Wir wussten, wie sehr ihm Sichtbarkeit und echte Zugehörigkeit am Herzen lagen. Also haben wir kurzerhand eine eigene, ganz persönliche Trauerfeier organisiert: So, wie er es sich gewünscht hätte. Mit Musik, mit Erinnerungen, mit all den Menschen, die ihn wirklich kannten und liebten. Es war traurig, aber auch tröstlich, wenigstens diesen Raum für Ehrlichkeit und Wertschätzung zu schaffen.
Ich muss ehrlich sagen: Es macht mich heute noch wütend, wenn ich ähnliche Geschichten höre. Wenn Menschen, die schwul, lesbisch oder trans waren, im Tod wieder unsichtbar gemacht werden. Wenn ihre Liebe und ihre Identität verschwiegen werden, als wäre das ein dunkles Geheimnis. Ich finde, das hat niemand verdient. Weder damals noch heute. Und doch passiert es immer noch viel zu oft.
Zusätzliche Herausforderungen für Angehörige
Für Angehörige aus der queeren Community ist Trauer oft doppelt schwer. Da ist einerseits der Schmerz um den Verlust, andererseits aber auch die Sorge, wie offen sie mit ihrer eigenen Beziehung oder Familienform umgehen können. Wenn zum Beispiel eine lesbische Frau ihre verstorbene Partnerin verabschiedet, muss sie sich vielleicht noch immer erklären. Wer war sie für die Verstorbene? „Nur eine Freundin?“ Oder doch die große Liebe? Auch schwule Männer oder trans Menschen erleben es immer wieder, dass ihre Beziehungen oder ihre Identität im offiziellen Rahmen kaum erwähnt werden. Da wird dann in der Traueranzeige aus dem Ehemann ein „guter Freund“, oder aus der Partnerin wird eine „langjährige Wegbegleiterin“. Das tut weh und macht die Trauer nicht leichter.
Queersensible Abschiedsrituale schaffen Raum
Was hilft in solchen Momenten? Es sind die kleinen und großen Rituale, die Raum geben für die echte Geschichte eines Menschen. Eine Trauerfeier, bei der die Regenbogenfahne selbstverständlich ihren Platz hat. Eine Rede, in der die Liebe zwischen zwei Frauen nicht verschwiegen wird. Oder eine Zeremonie, in der der selbst gewählte Name und das richtige Pronomen einer trans Person respektiert werden. Es gibt inzwischen queersensible Trauerrednerinnen und Trauerredner, die genau dafür sorgen: Dass niemand mehr unsichtbar gemacht wird, weder im Leben noch im Tod.
Auch Trauergruppen speziell für schwule, lesbische oder trans Menschen können helfen. Hier muss niemand erklären, warum er oder sie trauert. Hier darf geweint, gelacht und auch mal über die skurrilen Seiten des Lebens gesprochen werden. Und glauben Sie mir: Gerade in der queeren Community gibt es viele Geschichten, die zu schade wären, um sie zu verschweigen.
Abschied als Akt der Selbstbestimmung
Abschied ist immer auch ein Stück Selbstbestimmung. Wer schwul, lesbisch oder trans lebt, weiß, wie wichtig es ist, das eigene Leben selbst zu gestalten. Das sollte auch für den letzten Weg gelten. Der richtige Name, das passende Pronomen, die gewählte Familie: All das verdient Respekt, auch wenn die Person selbst nicht mehr sprechen kann. Es ist ein Zeichen von Wertschätzung, wenn wir im Abschied die ganze Geschichte erzählen, nicht nur den Teil, der in die gesellschaftliche Norm passt.
Mein Appell an Sie
Wenn Sie selbst Teil der queeren Community sind oder einen schwulen, lesbischen oder trans Menschen verabschieden, lassen Sie sich nicht einreden, dass Sichtbarkeit im Abschied keine Rolle mehr spielt. Sie spielt eine große Rolle: Für Sie, für die Erinnerung, für alle, die noch kommen werden. Suchen Sie sich Menschen, die Ihre Geschichte verstehen und unterstützen. Und wenn Sie sich fragen, ob es zu viel ist, die Regenbogenfahne zu zeigen oder die Liebe offen zu benennen, dann denken Sie daran: Ein bisschen mehr Sichtbarkeit hat noch niemandem geschadet. Im Leben nicht und im Abschied erst recht nicht.
Ihr persönlicher Ansprechpartner für queersensible Trauerfeiern
Zum Schluss möchte ich Ihnen eines mitgeben: Wenn Sie sich eine Trauerfeier wünschen, die wirklich zu dem Menschen passt, den Sie verabschieden, mit all seinen Facetten, seiner Liebe, seiner Geschichte und seiner oder ihrer Identität, dann bin ich gerne für Sie da. Als erfahrener Trauerredner begleite ich Sie einfühlsam und mit dem nötigen Fingerspitzengefühl, ganz gleich, ob es um schwule, lesbische, trans oder andere queere Lebenswege geht. Gemeinsam finden wir Worte und Rituale, die dem Leben Ihres Lieblingsmenschen gerecht werden: Ehrlich, respektvoll und sichtbar. Melden Sie sich gerne, wenn Sie Unterstützung brauchen oder einfach jemanden suchen, der zuhört und versteht. Ich freue mich darauf, Sie kennenzulernen.